Texte verstehen

Junge sitzt vor einem Erstleser-Buch und ist hoch konzentriert laut vorzulesen
©S.Kobold/stock.adobe.com

Texte werden nicht Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort und Satz für Satz gelesen. Vielmehr laufen folgende Prozesse ab:

  • Beim Lesen finden Sprünge nach vorn (um durchschnittlich acht Buchstaben) und nach hinten statt – letzteres vor allem bei Verständnisproblemen.

  • Geübte Leserinnen und Leser erfassen größere Abschnitte (Silben, Wortstämme). Oft reichen Wortanfang und -ende aus, um das Wort zu erkennen. Die Buchstaben in der Mitte können dabei sogar „vertauscht“ sein.

  • Den gelesenen Wörtern werden anschließend Bedeutungen beigemessen – wenn sie denn verstanden werden. Hier ist der Bezug auf das Vorwissen der Lernenden wichtig, beispielsweise bezogen auf ihren Wortschatz. Fremdwörter und Fachbegriffe führen bei Unkenntnis zu einem subjektiv erhöhten Schwierigkeitsgrad. So kann man in diesem Kontext nicht allgemein von „schweren“ oder „leichten“ Texten, sondern lediglich von subjektiv schweren oder leichten Texten reden.

  • Typographische Merkmale wie Schriftart und -größe, Kontrast, Stile wie -Kursiv- oder Fettdruck, der Zeilenabstand und Ähnliches spielen dabei ebenso eine Rolle. Hier ist wichtig, dass die Lesenden je nach technischer Umsetzung Einfluss auf diese Faktoren haben und beispielsweise am E-Reader den Text ihren Bedürfnissen anpassen können.

Semantische und syntaktische Verarbeitung

Das Verstehen insbesondere längerer Texte setzt eine semantische und/oder syntaktische Verknüpfung der einzelnen Sätze voraus. Auf syntaktischer Ebene kann diese Verknüpfung beispielsweise durch Wortwiederholungen und die Verwendung von Pronomen mit eindeutigem Bezugswort stattfinden, auf semantischer Ebene durch Bezugnahme auf Vorwissen bezüglich der verwendeten Wörter.

Beispiel: Der Lehrer hat dem Schüler die Aufgabe erklärt. Er konnte das nicht gut.

  • Hier ist nicht ganz klar, ob der Lehrer nicht gut erklärt hat oder der Schüler die Aufgabe anschließend nicht gut lösen konnte. Das Bezugswort des Pronomens ist nicht syntaktisch eindeutig ausmachbar. Ebenso ist semantisch keine eindeutige Verknüpfung möglich, da beide Alternativen mit dem eigenen Vorwissen in Einklang zu bringen sind.
  • Es kann beispielsweise durch eine Wortwiederholung das Verständnis syntaktisch erreicht werden:
    • Der Lehrer hat dem Schüler die Aufgabe erklärt. Er hat es jedoch nicht gut erklärt.
Elaborative Verarbeitung

Beim Lesen eines Textes werden oft Assoziationen geweckt. Ein Text über Frankreich lässt den Leser an Paris und den Eifelturm denken, ein Text über Afrika ruft Bilder von Elefanten und Löwen ins Gedächtnis. Dabei gilt: Je mehr Assoziationen ein Leser zu einem Text aktivieren kann, desto besser kann er Neues mit bereits Gelerntem verknüpfen und desto besser erinnert er sich an die neuen Inhalte. Deshalb ist es wichtig, Lernende durch Hinweise am Text direkt dazu aufzufordern, ihr eigenes Vorwissen in Form von Beispielen, bildlichen Vorstellungen und ihre Erwartungen in Form von Fragen an den Text zu aktivieren.

Reduktive Verarbeitung

Lesende behalten normalerweise nie einen ganzen Text im Gedächtnis– vor allem, wenn er an Bildschirmen nur quergelesen wird. Drei Prozesse der reduktiven Verarbeitung finden beim Lesen statt:

  • Selektion: Wichtige Aussagen werden von unwichtigen getrennt und erstere quasi unverändert behalten.

Beispiel: In einem Fach wird ein Sachtext gelesen. Zur Vorbereitung auf eine spätere Leistungskontrolle, werden die Kernaussagen aus dem Text entnommen und auf Karteikarten notiert.

  • Generalisierung: Mehrere Aussagen werden in einer Aussage verallgemeinert zusammengeführt.

Beispiel: Anne sucht im Internet nach Bildern für die Gruppenpräsentation. Währenddessen liest Maik im Buch nach und Lisa fragt die Lehrkraft nach Informationen.
-> Die Schülergruppe recherchiert Material für ihre Präsentation .

  • Konstruktion: Mehrere Aussagen werden unter einem (neuen) Begriff zusammengefasst, der das zugrundeliegende Prinzip oder Konzept auf den Punkt bringt.

Beispiel: Man sucht zuerst ein gemeinsames Vielfaches der beiden Nenner. Dann erweitert man beide Brüche auf diesen Nenner. Dann addiert man die neuen Zähler und behält den gemeinsamen Nenner.
-> Man addiert zwei Brüche, indem man sie gleichnamig macht.

Zwischenüberschriften für Teilabschnitte, Hervorhebungen und andere Arten von Hinweisen können den Lese- und Filterprozess für den Lesenden erleichtern.